Seit Beginn ihrer Karriere in den 1960er-Jahren findet Lis Kocher die Koordinaten für ihre Kunst in der eigenen Biografie. Neben oft umfangreichen Malerei- und Zeichnungszyklen, die um eine Selbstverortung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit kreisen, umfasst ihr Werk auch zahlreiche Objektkästen, deren bunte Aussenflächen verborgene Innenräume umschliessen.
Als Lis Kocher 1983 im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen ihre erste institutionelle Einzelausstellung hatte – unter anderem mit All-over-Kompositionen wie o.T. (1983) –, konnte sie bereits auf eine rege künstlerische Tätigkeit zurückblicken. In den frühen 1960er-Jahren hatte die ausgebildete Primarschullehrerin Malereikurse bei Max von Mühlenen (1903–1971) belegt, einem der wichtigsten Vertreter des abstrakten Expressionismus in der Schweiz. Später gehörte sie zur Berner Bohême um den Publizisten, Mythen- und Jugendkulturforscher Sergius Golowin (1930–2006), lebte und arbeitete zehn Jahre mit dem deutschen Künstler Dieter Seibt zusammen und entwickelte in dieser Zeit ihre vom Surrealismus und von der Pop-Art beeinflussten Traumboxen, für die sie viel Aufmerksamkeit erhielt. Ab Ende der 1970er-Jahre rückte dann die Auseinandersetzung mit der künstlerisch tätigen Hand als Seismografin der inneren Verfasstheit ins Zentrum ihrer Arbeit – bevor sie dem Atelier den Rücken kehrte. Mit Jean Nydegger, ihrem zweiten Mann, war sie von 1986 bis 1995 mit nur wenigen Unterbrechungen zwischen dem Indischen Ozean, Nord- und Südatlantik unterwegs und arbeitete vorwiegend auf dem Segelboot. In dieser Phase entstand auch die Arbeit Terre Neuve von 1991. Das Doppelbild, das aus dem Porträt einer Puppe und einer abstrakten Komposition besteht, welche entfernt an eine Wetterkarte oder an den Querschnitt eines marmorierten Gesteins erinnert, lässt sich als poetischer Kommentar auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, zwischen innerer und äusserer Topografie verstehen.
Lis Kochers Œuvre, das von den Werken Meret Oppenheims, Niki de Saint Phalles und Miriam Cahns ebenso inspiriert ist wie von Rosa Luxemburg und Else Lasker-Schüler, reiht sich in die jüngere Geschichte einer an Fragen des spezifisch weiblichen Blicks interessierten Kunst in der Schweiz ein.
Lis Kocher, 1942 in Bern (CHE) geboren, lebt und arbeitet in Magglingen (CHE).
Tätigkeitsbereiche: Malerei, Zeichnung, Objektkunst, Lithografie, Buch