Die Arbeiten der brasilianischen Bildhauerin Nazareth Pacheco faszinieren in ihrem Wechselspiel von Intimität, Schock und Eleganz. Mit nachgerade chirurgischer Präzision und grosser emotionaler Tiefe erkunden sie den weiblichen Körper, thematisieren Krankheit, Schmerz, Verletzlichkeit und Schönheit. Wichtigste Quelle ihres künstlerischen Werks ist ihr eigener Körper.
Pacheco leidet seit ihrer Geburt am Amniotischen Band Syndrom, einer seltenen Krankheit infolge mechanischer Abschnürungen einzelner Extremitäten während der Schwangerschaft. In ihrer Kindheit verbrachte sie deshalb viel Zeit im Krankenhaus. Auch als Erwachsene musste sie sich unzähligen chirurgischen Eingriffen unterziehen, die ihr das Überleben sicherten und zugleich ihren Körper ständig veränderten. In den frühen 1980er-Jahren studierte Pacheco Bildhauerei an der Mackenzie Presbyterian University in São Paulo. 1992 beschloss sie, den eigenen Körper zum Ausgangspunkt ihrer Kunst zu machen. Sie begann Röntgenbilder, Rezepte, Medikamente und Spritzen zu sammeln und verarbeitete diese Zeugnisse ihrer Krankheitsgeschichte zu einer Art Materialarchiv ihrer permanenten Metamorphose. International bekannt wurde Pacheco mit einer Reihe alltäglicher Objekte von bedrohlicher Materialität: Kinderkrippen, Kleider oder Unterwäsche aus Rasiermessern und scharfkantigen Glaskristallen, Halsschmuck, versehen mit Skalpellklingen, Lanzetten oder medizinischen Nadeln zum Vernähen von Haut. Die seltsame Schönheit ihrer Arbeiten ist anziehend und beängstigend zugleich – seien es die Fotografien von vergrösserten Blutstropfen oder teuren Flakons mit Quecksilber, seien es die hochglanzpolierten Messing-Nachbauten von Instrumenten zur Vagina-Untersuchung – oder das 1999 entstandene Objekt Swing in der Sammlung der Mobiliar. Die Arbeit besteht aus einer Schaukel aus Acrylglas, gespickt mit scharfkantigen Kristallnadeln. In ihr verbinden sich widersprüchliche Bilder von kindlicher Unbeschwertheit und vom Taumel eines extremen, spitzen Schmerzes; sie erzählt aber auch von Stärke und von der Macht, die es bedeutet, Schmerz zu kontrollieren durch Willen, Hingabe und Konzentration.
Nazareth Pacheco, deren Œuvre vom Surrealismus einer Louise Bourgeois ebenso inspiriert ist wie von der Formensprache des Minimalismus und den Aufmerksamkeitsstrategien der Pop Art, gehört neben Künstlerinnen wie Mona Hatoum oder Shirin Neshat zu den wichtigen Vertreterinnen einer autobiografisch geprägten Auseinandersetzung mit den sozialen, geschlechtlichen und politischen Aspekten des weiblichen Körpers.
Nazareth Pacheco wurde 1961 in São Paulo (BRA) geboren, wo sie heute lebt und arbeitet.
Tätigkeitsbereiche: Skulptur, Installation, Fotografie