Mingjun Luo (*1963)

© Luo Mingjun

Die chinesisch-schweizerische Künstlerin Luo Mingjun hat ein intensives künstlerisches Interesse an Fragen der Herkunft und Zugehörigkeit, der inneren und äusseren Heimat, die sie auf subtile und eindringliche Weise in Malerei, Zeichnung, Installation und Sprache verhandelt.

Nach einem Kunststudium von 1979 bis 1983 an der Hunan Normal University im südchinesichen Changsha wurde Luo Mingjun mit gerade mal 20 Jahren zur jüngsten Professorin der Institution berufen. Malte sie hier – in klassischen Techniken europäischer Malerei geschult – vor allem farbig und in Öl, reduzierte sich ihre Palette deutlich ab 1987 nach ihrer Übersiedlung in die Schweiz, wo sie sich auf der Suche nach malerischen Positionen der Gegenwart in ausgiebigen Museumsbesuchen autodidaktisch weiterbildete. In Rückbesinnung auf die Tradition der chinesischen Tuschmalerei, die sie schon als Kind erlernt hatte, entstanden nun mit lockerem Strich Schriftbilder und Darstellungen von Alltagsdingen, die sich als eine Art fragmentarischer Index der eigenen Identität entziffern liessen. In raumgreifenden Installationen verknüpfte Luo Mingjun Objekte und Sprache zu poetischen Meditationen über Einheit und Vielfalt oder die Konsistenz von Wahrheit.

Ab Mitte der 2000er-Jahre schliesslich rückt die Flüchtigkeit der Erinnerung ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Grossformatige Bilder entstehen nach Vorlage von alten Fotos – oft sind es Schappschüsse mit Freunden und Verwandten, unmittelbar und doch verschwommen bis zur Unkenntlichkeit. Auch das Bild Ligne Jaune (2009) aus der Sammlung der Mobiliar entstand nach Vorlage einer Fotografie. Wie im Nebel taucht hier die Ansicht einer mehrspurigen Strasse auf, mit mässig dichtem Verkehr, Laternenmast und gelbem Zebrastreifen. Das Bild ist Teil einer Serie von drei nahezu identischen Motiven, die sich nur in Details voneinander unterscheiden, als hätten drei Menschen das Szenario von drei unterschiedlichen Positionen aus beobachtet. Auf stille, fast unmerkliche Weise verstrickt Luo Mingjun die Betrachtenden so in eine Auseinandersetzung über Fragen der individuellen Perspektive auf ein allgemeines Geschehen, der subjektiven Wahrnehmung einer vermeintlich objektiven Wirklichkeit, die den Blick prägt.

 

Als tiefgreifende künstlerische Auseinandersetzung mit Erfahrungen von Fremdheit und Vertrautheit nimmt Luo Mingjuns vielgestaltiges Werk in der aktuellen Kunst aus der Schweiz eine wichtige Position ein.

 

Luo Mingjun, 1963 in Hunan (CHN) geboren, lebt und arbeitet in Biel/Bienne (CHE).

Tätigkeitsbereiche: Malerei, Installation, Video, Zeichnung, Konzeptkunst

Website von Mingjun Luo