Die aus Delémont stammende und deshalb der französischen Lebensart nahe stehende Marguerite Frey-Surbek lernte während ihrer Ausbildung in Paris ihren späteren Ehegatten, den Maler Victor Surbek, kennen. Sie entwickelte eine von ihrem Mann völlig unterschiedliche Auffassung von Kunst. Angesichts der bedeutenden Stellung von Victor Surbek innerhalb der Berner Kunstszene ist ihre Selbständigkeit besonders beeindruckend.
Zu wissen, dass Marguerite Frey-Surbek nicht nur in der Kunst ihren eigenen Weg ging, sondern sich auch sozialpolitisch in ausserordentlichem Masse engagierte, erhöht den Respekt, den man dieser Frau gerne zollt. Während sich ihr Mann der Nachfolge Ferdinand Hodlers und der Zeichnung verschrieb, fand die Malerin ihre Künstlerinnenseele in den Farben und dem Licht der Nachimpressionisten gespiegelt. Ihre Lehrer und Vorbilder waren Paul Klee, Félix Vallotton und Edouard Vuillard. Aus solchen Quellen flossen die Intimität und Heiterkeit, die Poesie und die vornehme Malkultur, die ihren Werken innewohnen. Die Sonnige Balkontüre ist ein typisches, in die Reihe der Interieurs einzuordnendes Sujet für die Künstlerin. Das Gemälde versprüht einen verführerischen Charme. Als Rahmen im Bild nehmen die Türflügel einen grossen Teil der Malfläche ein. Der Blick nach draussen eröffnet eine bestechende Landschaft mit hellgrün leuchtender Vegetation und tiefblauem Meer, gegen die sich das dunkelgrüne Geländer und der rote Fleck des kleinen, von der Sonne beschienenen Höckers abheben. Die frische Ausgewogenheit der Farben findet sich auch in der malerischen Behandlung der im Schatten liegenden Innenzone wieder. Auch der im Gegenlicht gemalte Bildstreifen links ist nicht einfach grau, sondern überaus reich an farbigen Modulationen, die von rosa Tönen über hellblaue Tupfen bis zu violetten Schattierungen reichen. Schatten sind nicht schwarz – das haben die Impressionisten gelehrt –, sie nehmen die Komplementärfarben ihrer Umgebung auf. Diesem Prinzip folgte die Künstlerin in undoktrinärer Weise und mit einer grossen Sensibilität für die Kontraste zwischen Licht und Schatten und für die Stimmung der südlichen Landschaft.
Marguerite Frey-Surbek malte immer vor dem Motiv, und sie bevorzugte Orte, mit denen sie selber vertraut war. Obwohl über die Örtlichkeit nichts bekannt ist, dürfte es sich hier um die Aussicht aus einem Haus in Kalabrien handeln, wo sich die Malerin wiederholt aufhielt.
(Quelle: Katalog ‚Innovation und Tradition‘, Bern 2001)
Marguerite Frey-Surbek wurde 1886 in Delémont (CHE) geboren: sie starb 1981 in Bern (CHE).
Tätigkeitsbereiche: Malerei, Zeichnung, Grafik
Fotografie: Dr. med. Peter Friedli
«Als Künstler sind wir nicht verheiratet.» Marguerite Frey-Surbek