Als Anfang der 1990er-Jahre die ersten erschwinglichen Scanner und Bildbearbeitungsprogramme auf den Markt kamen und mit dem grafikfähigen Webbrowser Mosaic die Erfolgsgeschichte des Internets begann, war Hervé Graumann einer der ersten, der mit seiner künstlerischen Arbeit das Potenzial der Digitalisierung für die Bildproduktion und ihre Auswirkungen auf nahezu alle Aspekte der Kunst – auf Ästhetik, Wahrnehmung, Verbreitung, Markt – erkundete
Bekannt wurde Graumann nach seinem Studium an der Genfer École supérieure d’art visuel mit der Arbeit Raoul Pictor cherche son style (1993–). Der fiktive Held dieser Computer-Animation ist ein Maler, der mit viel Witz zahllose Künstlerklischees bedient und auf Anfrage per Zufallsgenerator Bilder zum Ausdrucken malt. 1997 war Raoul Pictor auf Einladung der documenta X online aktiv, neue Versionen dieses virtuellen Malers mit sehr realem Œuvre sind als iPhone-App verfügbar. Die gezielte Konfrontation analoger und digitaler Logiken der Bildproduktion ist typisch für Graumanns künstlerische Arbeit. Für seine Serie Who’s next (1999–) etwa entwickelte er die Regel, dass die über monochromen Grund mäandernden Linienzeichnungen dieser Bilder immer dort ihre Farbe ändern, wo sie auf eine andere Linie stossen. Was am Computer der Algorithmus des Grafikprogramms erledigt, stellt Graumann hier mit den klassischen Mitteln Farbe, Pinsel und Malgrund im Analogverfahren nach. Auf eine ähnliche Irritation zielt die Serie Pattern, aus der zwei Tintenstrahldrucke (Pattern III und Pattern IV, beide von 2001) im Besitz der Mobiliar sind. Graumann arrangierte dafür industriell gefertigte Billigprodukte wie Trinkgläser, Wäscheklammern, Einwegrasierer oder Q-tips zu technisch anmutenden Assemblagen, die er dann mehrfach nachbaute und zu rasterartigen Installationen im Raum ordnete, um sie zu fotografieren. Was zunächst wie das Resultat eines Copy/Paste-Verfahrens wirkt, mit wenigen Clicks am Rechner erstellt, erweist sich als zeitintensive, analoge Vervielfältigung absurder Objektmodule für die Kamera.
In der Schweiz gehört Hervé Graumann neben Yves Netzhammer und dem Duo Studer / van den Berg zu den Pionieren einer Medienkunst, die in komplexen Verschränkungen computerbasierter Bildwelten mit tradierten Medien und Installationen die Bedingungen der Bildproduktion an der Schwelle vom analogen zum digitalen Zeitalter reflektiert.
Hervé Graumann, geboren 1963 in Genf (CHE), lebt und arbeitet in Genf.
Tätigkeitsbereiche: Video, Fotografie, Objektkunst, Malerei, Computerkunst