Eine Definition von Kunst könnte lauten, dass sie Nichtsichtbares sichtbar macht. Andrea Wolfensberger gelingt mit ihren Werken genau dies: Prozessen Gestalt zu verleihen, die sich unserer visuellen Wahrnehmung normalerweise entziehen. Sie ist der Schönheit flüchtiger Momente auf der Spur und fängt sie ein, damit wir sie in Ruhe betrachten können.
Andrea Wolfensberger begann ihre künstlerische Laufbahn Mitte der 1980er-Jahre mit Objekten aus Fundholz oder Eisenblech, die eine schlichte Form in mehrfacher Wiederholung auffächerten und so eine Bewegung im Raum andeuteten. Über die Beschäftigung mit dem Thema Bewegung kam die Künstlerin zur Arbeit mit dem Medium Video: Das 1991 entstandene Video La danza degli storni etwa zeigt Schwärme von Staren, die den Himmel über Rom mit flüchtigen Ornamenten versehen. Um komplexe Bewegungsstrukturen ging es auch in einer plastischen Arbeit, die Wolfensbergers wissenschaftlich inspirierte Vorgehensweise beispielhaft veranschaulicht: Für ihre Wachsstele (1998) befüllte sie eine schmale hohe Holzkiste mit heissem Bienenwachs. Da die Kiste oben offen blieb, erkaltete die obere Wachsschicht zuerst. Die damit in Gang gesetzte Molekularbewegung erzeugte eine Wirbelform im Wachs, die auch im vollends erkalteten Zustand noch angelegt ist. Um sie freizulegen, sägte die Künstlerin die Kiste der Höhe nach entzwei. Das 2001 entstandene Video Seifenblase, das sich in der Kunstsammlung der Mobiliar befindet, zeigt eine Seifenblase, in der sich die umgebende Landschaft spiegelt. Aufgezeichnet sind die vom Wind und von der Hand der Künstlerin erzeugten zittrigen Bewegungen der Blase, deren Farben immer intensiver leuchten, bis sie schliesslich platzt. Die Zeit anhalten, den Moment einfangen, die Bewegung erfassen – das versucht die Kunst seit jeher. Wolfensberger hat mittlerweile einen Weg entwickelt, sogar Klänge, Worte, Gedichte als Gebilde im Raum festzuhalten: Sie übersetzt Schallwellen in wogende Plastiken aus Gips oder Wellkarton.
Wolfensberger studierte an der Ecole supérieure d’art visuel in Genf und erhielt schon bald nach ihrem Abschluss 1984 erste Stipendien und Auszeichnungen. Mit grosser Ernsthaftigkeit und einem ausgeprägten Sinn für Poesie, die zugleich eine Quelle ihres Schaffens ist, formuliert sie eine solitäre künstlerische Position.
Andrea Wolfensberger, 1961 in Zürich (CHE) geboren, lebt in Waldenburg (CHE) und Zürich.
Tätigkeitsbereiche: Plastik, Installation, Zeichnung, Video, Objektkunst, Malerei